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Meldung vom 22.03.2012

Der Neuwahl-Putsch in NRW

Innenansicht eines Politikers

von R?diger Sagel

?Ein Putsch (auch Staatsstreich oder Coup d'?tat genannt [...]) ist eine meist ?berraschende [...] Aktion einer kleineren Gruppierung von Staatsorganen[...] mit dem Ziel, die Regierung zu st?rzen und die Macht im Staat zu ?bernehmen? (Wikipedia: 22.03.2012).

Es ist Mittwoch, der 14. M?rz 2012 im Plenarsaal des Landtags NRW, als es kurz nach 12 Uhr zur namentlichen Abstimmung ?ber den ersten Einzelplan des Landeshaushalts 2012 kommt. Noch kurz zuvor hatte ich als Redner meiner Fraktion DIE LINKE in den Saal gesprochen. Ich wunderte mich, dass meine Vorredner der anderen Fraktionen nicht auf die ungemein gespannte Stimmung, die seit Beginn der Sitzung um 10 Uhr knisternd zu sp?ren war, reagierten. Sie ?u?erten sich ?ber Details des Gemeindefinanzierungsgesetzes und zur Innenpolitik. Mir war klar, dass es hier gleich zum Showdown kommt und dies wohl meine letzte Rede im Landtag NRW ist.

Ich hatte beim auff?llig sp?ten Einnehmen ihrer Pl?tze die FDP-Fraktion - kurz nach 10 Uhr - sehr genau beobachtet. Alle Fraktionen hatten ihr Abstimmungsverhalten bekannt gegeben und ich wusste, dass es von den FDP-Abgeordneten abh?ngt, was hier gleich passiert. Als ich in die Gesichter der FDP-Leute sah, war mir klar, jetzt ist es vorbei. Die gehen zum Schafott. Dies obwohl oder gerade weil eine FDP-Abgeordnete noch auf dem kurzen Weg mit ihrem Fraktionschef heftig stritt. Eine Abgeordnete, von der ich wusste, dass sie eigentlich den Haushalt von SPD und Gr?nen durchwinken wollte.

Als ich redete, appellierte ich deshalb insbesondere ein letztes Mal an die Fraktionen von SPD und Gr?nen und stellte klar, dass die LINKE weiterhin gespr?chsbereit sei, um ?ber Vorschl?ge zu verhandeln und den Haushalt nicht scheitern zu lassen, und schloss meine Rede mit den Worten "Gl?ck auf". Doch die Entscheidung war gefallen. Alle Fraktionen hatten sich festgelegt. Bis zur letzten Sekunde war ich in einem Gewissenskonflikt und ?berlegte ich, was ich sage, wenn mein Name gleich von der Landtagspr?sidentin aufgerufen wird. Sage ich NEIN zu diesem zur Abstimmung stehenden Teil des Landeshaushalts 2012, und stimme damit genauso ab wie es politisch momentan richtig ist und wir gemeinsam beschlossen hatten, im Wissen, dass es dann aufgrund der erst seit Kurzem bekannten Rechtsauffassung der Landtagsverwaltung, die das Pr?sidium des Landtags sich zu eigen gemacht hatte und die auch uns Abgeordneten als Grundlage unserer Abstimmung so mitgeteilt worden war, wohl kurzfristig zu Neuwahlen in NRW kommt. Oder stimme ich doch mit JA.

Das Dilemma war nicht aufzul?sen, ich entschloss mich zum politisch begr?ndeten und solidarischen NEIN - trotz der vermutlich sofort nachfolgenden Neuwahl-Konsequenz, da ich in dem Augenblick nur von der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Pr?sidiums und der Landtagsverwaltung ausgehen konnte.

Die Folgen sind bekannt. Insgesamt 91 Oppositionsabgeordnete von CDU, FDP und LINKE stimmten gegen den Haushalt der Landesregierung. Nach kurzen Reden der Ministerpr?sidentin und der Fraktionsvorsitzenden, einer Sitzungsunterbrechung und dem Antrag auf Aufl?sung des Parlaments kommt es jetzt zu Neuwahlen. Grundlage f?r all dies ist eine immer fragw?rdiger werdende Rechtsauffassung, die letztlich in Folge dazu diente, den politischen Willen einer kleinen Gruppe von SPD- und Gr?nen-Politikern in einer Art Putsch zu exekutieren.

Denn immer mehr Fragw?rdigkeiten - neben der immer dubioser werdenden Rechtsauffassung und dem unterschiedlichen Zeitpunkt seiner Mitteilung an die verschiedenen Beteiligten - wurden mir im Nachhinein bekannt. Es war ein abgekartetes politisches Vorgehen von wenigen, aber entscheidenden SPD- und Gr?nen-Politikern an der Spitze. Diese wollten Neuwahlen und hatten sich dazu verabredet, keine Zugest?ndnisse an die Oppositionsfraktionen zu machen und diese so zu einem NEIN zum Haushalt zu bewegen. Ihr Problem war allerdings, dass ein Teil ihrer eigenen Leute dies gar nicht wollten, denn sie hatten Ministersessel und /oder Abgeordnetenstatus zu verlieren oder wollten weiter eine Kooperation der Minderheitsregierung mit einer der Oppositionsparteien.

Offensichtlich hatten die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Gr?nen ihre Fraktionen ?ber das Treffen mit uns, den Vertretern der LINKEN am Montag, zwei Tage vor dieser entscheidenden Landtagssitzung, deshalb auch falsch informiert. Den Fraktionen wurde offensichtlich mitgeteilt, so das Ergebnis meiner Gespr?che mit einigen SPD und Gr?nen Abgeordneten nach der entscheidenden Abstimmung, dass die drei LINKEN-Vertreter, zu denen auch ich geh?rte - im Gegensatz zum tats?chlichen Geschehen - neue und v?llig ?berzogene Forderungen gestellt h?tten, um den Haushalt durchzuwinken und seien auch nicht mehr gespr?chsbereit gewesen, um weiter dar?ber zu verhandeln.

Dass eine derartig perfide Vorgehensweise nicht ohne Abstimmung mit der SPD-Ministerpr?sidentin und ihrer Stellvertreterin von den Gr?nen m?glich ist, versteht sich von selbst. Offensichtlich hatten sie dies Vorgehen so verabredet, um den letzten widerst?ndigen Teil der Abgeordneten in ihren Fraktionen, die auch keine Neuwahlen wollten, zum abschlie?enden und doch Neuwahlen erm?glichenden Einlenken zu bewegen. Dies vor dem Hintergrund, dass diesen Eingeweihten schon fr?hzeitiger als den Fraktionen von FDP und LINKEN das fragw?rdige Rechtsgutachten der Landtagsverwaltung bekannt war, das davon ausgeht, dass ein Haushalt insgesamt gescheitert ist, wenn auch nur ein Einzelplan in der 2. Lesung abgelehnt wird

Offensichtlich war im Detail verabredet, FDP und LINKE bis zur Abstimmung am Mittwoch keine Zugest?ndnisse zu machen, um sie so zur Ablehnung des Haushalts zu bewegen. Das abgekartete Spiel von SPD- und Gr?nen-Spitze mit uns verlief deshalb am Montagmittag entsprechend. Wir haben bei SPD und Gr?nen keinerlei Kompromissbereitschaft gesp?rt. Sie haben den m?glichen gro?en Knall billigend in Kauf genommen. Der Fraktionschef der Gr?nen ist sehr hart aufgetreten, w?hrend sein SPD-Kollege die meiste Zeit kaum redete. Nach einer Stunde war das Gespr?ch vor?ber. Uns war danach klar, wir m?ssen die Einzelpl?ne ablehnen.

Auf der Fraktionssitzung am n?chsten Dienstagvormittag wurde bei uns geschlossene Ablehnung verabredet. Dass dies zur Aufl?sung des Landtags f?hren w?rde, ahnte niemand von uns. Bei der FDP war es nicht anders. Die FDP-Fraktion legte sich zur selben Zeit auf ein klares NEIN zu allen Einzelpl?nen des Haushalts fest.

Ohne Zugest?ndnisse seitens SPD und Gr?nen war somit f?r keine Fraktion jetzt noch eine Umkehr m?glich. Das Rechtsgutachten und sein Ergebnis wurde uns erst Dienstagnachmittag, nach der Fraktionssitzung und dem ?ffentlichen Bekanntwerden ihres Ergebnisses, mitgeteilt.

In Gespr?chen mit SPD- und Gr?nen-Politikern habe ich noch bis sp?t am Abend versucht, eine irgendwie geartete Kompromisslinie auszuloten, bekannterma?en ohne Erfolg. Offensichtlich war die klare Linie vorgegeben worden, keine, auch nicht die geringsten Zugest?ndnisse zu machen. Offensichtlich ist dies auch gegen?ber der FDP geschehen. Unter dem so flach ausgelegten Teppich konnte dann keine der beiden Oppositionsfraktionen ohne massivsten Gesichtsverlust durchkriechen. Selbst nicht die FDP, die noch ein paar Tage zuvor im Haushaltsausschuss trotz eigener massiver Kritik die sogenannte "Tatkraft"-Tour der Ministerpr?sidentin durchgewunken hatte und damit signalisierte, wir sind zum Durchwinken des gesamten Haushalts bereit.

Einige wenige SPD- und Gr?nen-Politiker haben die nun folgenden Neuwahlen aufgrund ihrer politischen Entscheidung und mit etlichen Tricksereien und L?gen durchgedr?ckt. Ein Lehrst?ck politischen R?nkespiels.



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